Frühstückspäckchen, Hackfleisch-Eintopf und zehn Kilo Sauerkraut: Eine ganz normale Woche bei der Schweinfurter Kindertafel – MIT VIELEN FOTOS!
SCHWEINFURT – Es ist 7 Uhr in der Früh und damit draußen noch stockfinster. In der Schweinfurter Friedrichstraße 8 brennt im ersten Stock bereits Licht und es wird Frühstück gemacht. Bald stehen die ersten Übernachtungsgäste auf und freuen sich auf nahrhafte Stärkung für den Tag zu Kaffee und Tee.
Halt, nein: In der Friedrichstraße 8 befindet sich weder ein Hotel noch eine Pension. Und es gibt auch nur Tee und Kaffee für die fleißigen Helfer. Aber trotzdem werden hier werktags von Montag bis Freitag jeweils bis zu 500 Frühstücksbrote geschmiert und belegt, zusammen mit Obst, Joghurt oder einem gesunden Getränk in Tüten verpackt und dann in Kisten transportfähig gemacht. Hier ist nämlich die Schweinfurter Kindertafel e.V. zuhause.
Von 7 bis 8 Uhr arbeitet ein festes Team mit Verstärkung an einem langen Tisch, der irgendwie fast wie ein kleines Fließband wirkt. In dieser einen Woche sind jugendliche Auszubildende der Firma FIS aus Grafenrheinfeld da und helfen mit, dass Butter und Käse oder Wurst auf die Brotscheiben kommt. Insgesamt sechs Personen schmieren täglich und belegen. Im Akkord. Ein Brot nach dem anderen wandert in eine Kiste.
Im Nebenraum wartet bereits Irena. Sie ist fest bei der Schweinfurter Kindertafel angestellt und weiß, wieviele Frühstückspakete die meist zwölf Schulen und die bis zu drei Kindergärten im Stadtgebiet bestellt haben. Und sie kennt die “Sonderwünsche”: Dabei geht es gar nicht unbedingt darum, dass manche Kinder keine Wurst mögen oder kein Fleisch essen. Salat, Schnittlauch, geraspelte Karotten oder Radieschen sind oftmals nicht erwünscht. Oder es wird bewusst das Vollkornbrot nicht gewollt.
Irena hat aber den Überblick und arbeitet die Listen nach und nach ab. Damit jeder das bekommt, was ihm/ihr schmeckt. Die Tüten kommen alle in die blauen Kisten, die mit den Namen der Schulen beschriftet sind. Die eine Kiste wird voller und schwerer, die andere hat kaum Gewicht. Für die ein oder andere Schule muss sogar eine zweite gepackt werden.
Marco verfolgt das alles schon mit einem Blick auf die Uhr. Vor der Türe hat er bereits den Kindertafel-eigenen Lieferwagen geparkt. Lange dauert es nun nicht mehr, und die blauen Kisten werden nach und nach nach unten getragen, finden streng geplant den passenden Platz im Wagen, so dass beim Ausfahren stets die richtige Kiste griffbereit an der Türe steht. Logistisch ist das für Außenstehende eine Meisterleistung.
Auch Marco ist schon seit Jahren fest bei den Kindertafel beschäftigt. Nicht nur als Fahrer, aber zu dieser Zeit schon. Immer hat er einen Begleiter dabei. Denn ab 8 Uhr gilt es, die meistens 350 bis 450 Frühstückspakate auszuliefern. Vom Innenstadt-Gebiet geht´s dann zum Hochfeld, zurück in die Stadt, dann zum Bergl. Knapp zehn Minuten muss man einplanen für eine jede der Stationen. Und bis spätestens 9.30 Uhr, wenn die erste Pause beginnt, sollten alle Kisten ausgefahren sein. Denn die Kinder haben Hunger.
Die leeren Kisten vom Vortag landen dabei wieder im Lieferwagen. Oft mit dem Pfand-Leergut der Getränke. Die feste tägliche Route erlaubt im Winter eigentlich keinen Schnee oder Stau. Es muss schnell gehen. Oft werden die Kisten im ersten Stock der Schule ausgetauscht. Das Fitnessstudio können sich Marco und seine jeweiligen Begleiter deshalb sparen. Wenn gegen 9.45 Uhr dann die blauen Behälter zurück sind in Irinas Raum, dann kann man ein paar Schweißperlen auf Marcos Stirn sehen.
Im ersten Stock der Kindertafel sind die Brotschmierer nun schon gegangen. Meist hat dann in einem hinteren Zimmer der Kindertafel-Vorsitzende Stefan Labus sein Büro schon betreten. Immer wieder klingelt das Telefon. Wenn sich Interessierte melden, die von der Einrichtung gehört haben und die es sich vorstellen können, ehrenamtlich mitzuarbeiten, dann freut sich Labus ganz besonders.
So wie er sich aber natürlich auch dann freut, wenn sich Firmen, Vereine oder Privatpersonen melden, die Lust haben, die Schweinfurter Kindertafel zu unterstützen. Im Gang der Räume in der Friedrichstraße hängen an allen Wänden symbolische Schecks, die frühere Spendenübergaben belegen. Nur damit finanziert die Einrichtung ihre Ausgaben. Steuergelder sind noch nie geflossen. Auch die Stadt Schweinfurt unterstützt die Kindertafel nicht. Stefan Labus, der seit Jahren schon für die Freien Wähler im Stadtrat sitzt und der 2010 mal für das Amt als Oberbürgermeister kandidiert hat, weiß, dass die Stadtverwaltung die Notwendigkeit abstreitet, obwohl Schweinfurt eine Stadt mit nachgewiesener Kinderarmut ist.
Marco macht sich indes gerade schon wieder auf den Weg. Er hat die Liste mit den Einkäufen für die Belegung der Brote von morgen erhalten und sucht raus, in welchen Discountern oder Lebensmittel-Geschäften er die günstigsten Waren erhält. Zum Bäcker muss er natürlich auch noch…Er kauft überwiegend gesunde Sachen ein. Die Kindertafel arbeitet ja mit der Ernährungsberatung der AOK zusammen. Stefan Labus weiß, dass viele Kinder für die Pause von Ihren Eltern höchstens Kakaopulver, Salzstängchen oder Kartoffelchips mit bekommen. Wenn überhaupt…
Silvia ist jetzt auch schon längst da. Sie verantwortet unter anderem den Gabenzaun, der sich im Hof der Grundstücks befindet. Das “Lagerkind” der Kindertafel schaut, dass für Obdachlose und sozial benachteiligte Familien immer genügend Sachen dort hängen, sei es Kleidung, Lebensmittel, Hygieneartikel oder auch Spielsachen. Dieser Gabenzaun hat rund um die Uhr geöffnet, 24 Stunden an sieben Tagen die Woche. Traurig, dass es in Schweinfurt auch dafür eine Notwendigkeit gibt. Gut aber, dass die Hilfe vorhanden ist. Wohl überwiegend dann, wenn es dunkel wird, kommen die Bedürftigen hier vorbei. Kontrolliert wird nicht. Arme Menschen sind ehrliche Menschen.
Der Gabenzaun wird von einem Imbisswagen verdeckt. Und der steht natürlich auch nicht grundlos in der Einfahrt. Sondern wird werktäglich zum Leben erweckt. Immer um die Mittagszeit. Während die Kinder schon früh frühstücken dürfen (daher kommt wohl auch der Name…), haben die Erwachsenen um 12 Uhr herum Hunger. Auch diejenigen, die sich in Schweinfurt kein Essen leisten können. Leider gibt es auch da viel zu viele Menschen….
Die Suppenküche der Schweinfurter Kindertafel existiert seit dem Winter 2021. Sie ist vor dem 2022 erstmals eröffneten Weihnachtshaus das zweitneueste Projekt. Oft stehen Irena und ihr Mann Alex im Wagen und versorgen die Hungrigen. Um die 75 bis 85 Personen kommen täglich vorbei. Natürlich gibt´s nicht „nur” Suppen (und wenn, dann sind die sehr reichhaltig), sondern auch andere Gerichte von diversen Köchen, von denen Udo Geyer aus Waigolshausen, der mit dem „Genuss 67″ im Euerbacher Sportheim ein eigenes Lokal hat, derjenige ist, der eigentlich fast täglich hilft. Es gibt schon auch mal Schnitzel, Gulasch oder Bratwürste mit Kraut.
Während die Suppenküche gerade öffnet, bekommt Stefan Labus an einem Donnerstag Besuch. Von Ewellix, das ist ein Unternehmen, das neuerdings zur Schaeffler Gruppe gehört, dem weltweit führenden Automobil- und Industriezulieferer, der Bewegung und Mobilität effizienter, intelligenter und nachhaltiger gestalten will. Swen Wenig und Harald Kraus sind da und bringen einen Scheck in Höhe von 5000 Euro mit.
Natürlich bekommen der Geschäftsführer und der Betriebsratsvorsitzende wie alle Spender ausführliche Infos über alle Projekte der Kindertafel. 2009 gegründet beliefert sie heute bis zu 14 Grund-, Mittel- und Förderschulen mit den täglichen Tüten, in denen sich Lebensmittel im Wert von 1,60 Euro befinden. In den 14 Jahren wurden schon weit über eine Million dieser Päckchen ausgeliefert. Die Mitarbeiter leisten gut 3600 ehrenamtliche Stunden pro Jahr.
Und das deshalb, weil in Schweinfurt drei Säulen krumm stehen: Zu viele Sozial Schwache, zu viele Alleinerziehende, zu viele Migranten sind in der an sich reichen Stadt in eine soziale Schieflage geraten. “Wem das Geld fehlt, der spart in erster Linie beim Essen”, weiß Stefan Labus. Was er aber auch weiß: Kinder brauchen vormittags ein “Power-Frühstück”. Und wer seines eben nicht von Zuhause in pinken, orangenen oder rosafarbenen Gefäßen mit in die Schule bekommt, darf zusammen mit den anderen Kindern die Päckchen der Kindertafel auspacken und auch Obst wie Bananen, Äpfel oder Kiwi genießen. Die jeweiligen Schulen melden, was die Kinder bei ihnen mögen. Und bekommen dadurch das exakt bestellte Frühstück.
Nun ist Freitag. Der letzte Tag der Kindertafel e.V. in der Woche vor zwei Tagen Ruhe, an denen freilich der Gabenzaun trotzdem behängt ist. Marco hat wieder einen Sondereinsatz, nachdem er erst die Frühstückepakete ausgefahren hat und dann beim Einkaufen war. Diesmal geht´s zu einer Seniorenresidenz, dem Haus an den Mönchskutten. Dort hat die Küche sich etwas Besonderes ausgedacht. Es gibt einen Hackfleisch-Eintopf mit Kartoffeln und Karotten, dazu Baguette.
Für die Suppenküche der Kindertafel haben Küchenchef Rainer Otto und sein Stellvertreter Peter Lorenz etwas mehr gekocht. Jasmin Braun, die Leitung des sozialen Dienstes, stellte einst den Kontakt her. Mindestens einmal im Monat gibt´s von den Mönchskutten Essen für die Suppenküche. Letztens war es ein Chilli con Carne, für das nächste Mal verspricht Otto Bratwürste mit Kraut. Marco trägt die Behälter ins Auto und riecht dabei den Inhalt. Lecker…
Im Schnitt maximal 90 bis 95 zumeist ältere Menschen stehen teils schon ab 11 Uhr wartend an. “Sie können sich kein warmes Essen leisten oder können nicht mehr kochen”, weiß Stefan Labus. Drei Euro lässt er sich beim Einkauf jedes Essen normaler Weise kosten. Das diesmal Servierte ist dank des Sponsors gratis. Macht trotzdem wieder meist fast 300 Euro täglich, die von der Schweinfurter Kindertafel rein über Spenden aufgebracht werden. Insgesamt benötigt Labus mindestens 8000 Euro im Monat, um alleine bei Suppenküche und Frühstückspakete den Betrieb finanzieren zu können.
Gegen 11.30 Uhr ist Marco zurück. An diesem Freitag bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt warten trotzdem schon sieben Hungrige auf ihn. Pünktlich um 12 Uhr öffnet Irena mit ihrem Mann Alex als Verstärkung den Imbisswagen. An den Mönchskutten wurde üppig gekocht. Für bis zu 100 Portionen. So viele Leute kommen wohl heute nicht. Auch Marco darf ein Schälchen essen. Und Silvia lässt sich eine Portion einpacken. “Für den Abend”, sagt sie. Nach dem Dienst bei der Kindertafel hat sie noch eine Putzstelle abzuarbeiten. Das wahre Leben verlangt Einsatz, Fleiß und Engagement, damit man (frau) finanziell über die Runden kommt.
Sie hat, eine Stunde zuvor noch im Lager stehend zwischen Ketchup-Tütchen, Sauerkraut und Nudeln, inzwischen den Gabenzaun neu bestückt. Zusammen mit Irena und Alex. An drei Seiten hängen Tüten mit Lebensmitteln und Hygiene-Artikeln. Die hungrigen Hackfleisch-Eintopf-Esser greifen am Gabentisch gerne zu. Gesichts-Creme wäre schön gewesen, es gibt aber nur noch welche für die Hände. Macht nichts. Creme ist wichtig für die Haut. Und bald ist Wochenende….
Wer will, darf am Gabenzaun immer etwas mitnehmen. Überschüssige Lebensmittel, die von der Kindertafel auch schon mal in bundesweite Krisengebiete geliefert werden, stehen und hängen dort. Im Großgebinde erhält die Kindertafel von Unternehmen beispielsweise Nudeln oder Reis im Fünf Kilo-Paket. Und es kann auch schon mal eine 10 Kilo-Dose mit Sauerkraut dabei sein. Das hält sich ja lange und ernährt eine Großfamilie. Die große Dose vom Donnerstag ist Freitag schon weg. Natürlich dürfen die Menschen, wenn sie selbst etwas übrig haben, auch Lebensmittel oder anderes an den Zaun hängen. Das Geben darf auch in die andere Richtung funktionieren.
Stefan Labus ist auch Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Kindertafel e.V.. In Würzburg, Suhl, München oder Lübeck gibt es weitere Kindertafeln. Derzeit werden die nächsten in Ansbach in Mittelfranken und in Bernau am Chiemsee gegründet. Überall da gilt: Für Menschen reicht das Geld nicht aus für den Einkauf von ausreichend Nahrung. Und deshalb gibt es nicht nur Tafeln in fast allen Regionen Deutschlands, sondern zunehmend auch weitere Unterstützung wie in Schweinfurt mit einem kleinen Unternehmen und fünf Werktagen mit einem sich immer wiederholenden Alltag.
Fotos: Fabian Fischer